Schwimm dich frei

Die zwölfjährige Petra wohnt mit ihrer Mutter, die als Kellnerin jobbt, in einem kleinen Dorf in Norwegen. Sie spielt sehr gut Fußball und kommt auch in der Schule zurecht, wenn sie auch nicht die Beliebteste ist. Aber in Mathe-As Chris und der ebenfalls fußballbegeisterten Melika, die mit ihren Eltern nach Norwegen geflohen ist, hat sie zwei beste FreundInnen. Doch als das neue Schuljahr beginnt, wird alles auf den Kopf gestellt. Es beginnt in der Mathematikstunde: Petra liebt gerade Zahlen, die lassen sich glatt teilen. Was sie nicht so mag sind Primzahlen. Als die Mathelehrerin aber mit der Kreiszahl Pi anfängt, wird Petra ganz schwindlig – eine unendliche Zahl bringt ihre Gedanken ganz durcheinander. Und dann verliebt sie sich auch noch in einen neuen Schüler, der ein ziemlich guter Schwimmer ist, und das, wo doch Petra panische Angst vor Wasser hat, seit sie zusammen mit Chris auf dem gefrorenen Fluss eingebrochen ist. Was für ein Durcheinander. Doch noch gar nichts im Vergleich zu dem, was Melika durchmacht, deren Bruder auf der Flucht von der Familie getrennte wurde und durch Europa irrt und beim Versuch, den Ärmelkanal zu überqueren, verletzt wird. Eine spannende Rettungsaktion aus Norwegen beginnt. Ein überzeugendes Debüt der Norwegerin Ingrid O. Volden. Ich freue mich auf mehr!

Ingrid O. Volden: Unendlich mal unendlich mal mehr. Aus dem Norw. von Nora Pröfrock. 174 Seiten. Thinemann, Stuttgart 2018     EUR 13,40

Eiskalt

Für alle, die in brütender Sommerhitze schon vom Winter träumen, verspricht dieses Buch Abkühlung. Siri lebt in einer arktischen, kargen Inselwelt. Ihre Mutter ist tot, aber ihr alter Vater kümmert sich mit seinem bescheidenen Einkommen als Fischer um Siri und ihre kleine Schwester Miki. Die kleine Welt der Familie kommt ins Wanken, als Miki von den Piraten von Kapitän Weißhaupt entführt wird. Siri hatte nur ganz kurz nicht auf sie achtgegeben. Die ganze Gegend fürchtet die Piraten, die kleine Kinder rauben, um sie in einer Diamantenmine schuften zu lassen. Mikis Schicksal scheint ausweglos, doch Siri macht sich sofort auf den Weg, ihre Schwester zu befreien. Mit dem letzten Handelsschiff, bevor das Meer für den Winter zufriert, heuert sie als Küchengehilfin an. Schiffskoch Fredrik wird ihr Freund, auch er hat seine Schwester an die Piraten verloren. Es beginnt eine abenteuerliche Reise, auf der Wölfe und Eiseskälte noch die geringsten Gefahren sind. Auf der Landkarte im Umschlag lässt sich Siris Route mitverfolgen. Realistische Schilderungen werden unterbrochen von fantastischen Passagen, die aber in der außergewöhnlichen Gesamtstimmung des Buches wunderbar passen. Heldinnengeschichten wie die der mutigen Siri würde ich gerne mehr lesen!

Frida Nilsson: Siri und die Eismeerpiraten. Aus dem Schwed. von Friederike Buchinger. Mit Illustrationen von Torben Kuhlmann. 371 Seiten, Gerstenberg, Hildesheim 2017 EUR 15,40 ab 10 J.

Kindheitssommer

Lust auf Sommerfeeling? Dann ist dieses Buch perfekt. Routiniert erzählt Kirsten Boie die Geschichte von Martha und ihren jüngeren Brüdern Mats und Mikkel, die ihre Ferien überstürzt bei ihrer Oma verbringen müssen, die sie kaum kennen. Ihre Eltern und Oma vertragen sich nicht so gut, doch jetzt ist Mama im Krankenhaus und es gibt keine andere Lösung. Und sonderbar ist sie auch, diese Oma. Sie wohnt in einem idyllischen alten Häuschen am Wasser, wo nicht einmal eine Straße hinführt. Am einfachsten erreicht man es mit dem Boot. Es gibt dort auch kein Telefon, Fernsehen oder gar WLAN. Die Kinder sind also in eine völlig andere Welt katapultiert, erstaunlicherweise wird es aber alles andere als langweilig. Ob Hühner füttern, bei Gewitter Ruderboot fahren oder einfach den ganzen Tag alleine draußen spielen, es ist immer etwas los. Erst recht, als Omas Einsiedelglück plötzlich auf dem Spiel steht. Martha ist mit ihren zwölf Jahren ganz schön gefordert, aber am Ende findet die Familie wieder ein wenig zusammen. Witzig und spannend geschrieben und das alles vor einer ungemein entspannenden schleswig-holsteinischen Kulisse, die auch möglicherweise vorlesende Eltern anspricht.

Kirsten Boie: Ein Sommer in Sommerby. 319 Seiten, Oetinger, Hamburg 2018 EUR 14,40 ab 10 J.

Ein vierbeiniger Freund

Jakob verbringt die Ferien mit seinen Eltern im Sommerhaus – wie jedes Jahr. Doch diesmal lernt er einen besonderen Freund kennen, einen kleinen Streunerhund. Der ist anfangs sehr scheu, aber Jakob, der schon früher einen Hund hatte, der gestorben ist und den er sehr vermisst, weiß, wie er sich ihm nähern muss. Und so werden sie Schritt für Schritt Freunde. Jakob möchte den Hund gerne behalten, aber so einfach darf er das nicht. Als sich bis zum Ferienende niemand meldet, dem der Hund gehört, erlauben Jakobs Eltern, dass Ronny – so hat Jakob ihn genannt – mit in die Stadt kommt. Doch eines Tages steht dann eine andere Familie vor der Tür und fordert ihren Hund zurück. Ein schwerer Tag für Jakob und Ronny – wird ihre Freundschaft stärker sein als der Besitzanspruch von Menschen, die ihren geerbten Hund wiederhaben wollen?

Eine sehr anrührende Geschichte über einen Jungen im Volksschulalter und seine Liebe zu Hunden. Sehr anschaulich wird geschildert, wie sich die beiden einander annähern, erst „beschnuppern“ im wahrsten Sinne und dann unzertrennlich werden. Gemeinsam haben sie – ohne es zu wissen – dass sie beide schon jemand wichtigen verloren haben, was sie vorsichtig macht, aber nicht daran hindert, eine neue Beziehung einzugehen. Für sensible Kinder sei aber eine kleine Warnung ausgesprochen, denn gerade die beiden ersten Kapitel haben es in sich: Ronny verliert sein Frauchen und wird zum Streuner, und Jakobs erster Hund stirbt. Tabulos, wie das nur in skandinavischen Kinderbüchern geschieht, wird über den Tod geschrieben. Aber dann folgt ein Neuanfang. Eine schöne Geschichte zum Vor- oder Selberlesen.

Liv Frohde: Ein Hund für Jakob. Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann. Mit Bildern von Almud Kunert. 128 Seiten. Thienemann, Stuttgart 2017    EUR 12,40      Ab ca. 7 J.

Kinderbuchheld*innen

Der Band „Berühmte Kinderbuchautorinnen“ der Germanistin Luise Berg-Ehlers spannt einen weiten Bogen über das Schaffen von Autorinnen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur der letzten 150 Jahre. Von Clementine Helm bis J.K. Rowling sind 27 Kurzbiografien mit oft unbekannten Details vereint. Else Ury, Christine Nöstlinger, Judith Kerr, Selma Lagerlöf, Enid Blyton, Tove Jansson und viel andere werden vorgestellt und ihr Hauptwerk gewürdigt.

Viele, auch der älteren genannten Bücher stehen heute noch in öffentlichen Bibliotheken und werden gelesen, zumindest aber sind alle, die in den 1970er Jahren und früher geboren wurden, mit Figuren wie Backfisch, Trotzkopf oder Nesthäkchen aufgewachsen. Ein bislang nostalgisches, manchmal kopfschüttelndes Wiedersehen ob der stereotypgetränkten Welten, die einst für Unterhaltung sorgten, gibt es da. Auch nie wahrgenommene Held*innen, wie Daddy Langbein oder Anne auf Green Gables, sind anzutreffen. Ein guter Überblick für Interessierte, ein Anstoß zu Leseerinnerungen und vielleicht ein Anlass, mit den Kindern von heute die Bilder zu betrachten und zu vergleichen, was einst und heute Kinderbuchheld*innen so ausmachte.

Luise Berg-Ehlers: Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden. 152 Seiten, Elisabeth Sandmann Verlag, München 2017 EUR 25,70

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

Niemals Gewalt!

1978 bekam die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und hielt bei den Feierlichkeiten zu dessen Verleihung eine flammende Rede gegen Gewalt in der Erziehung. Das Verleihungskommittee hatte sich dazu durchgerungen, erstmals eine Autorin auszuzeichnen, die „nur“ Kinderbücher schrieb. Und diese Autorin sprach nun nicht etwa über die Kraft der Fantasie, die man ihren Büchern zuschrieb, sondern über den Mangel an Frieden und das Übermaß an Gewalt in der Welt. Auch wenn sie – vermeintlich bescheiden, denn sie hatte auch sonst keine Hemmungen, den Mächtigen der Welt ihre Meinung mitzuteilen – anmerkte, dass man von ihr als Kinderbuchautorin wohl kaum politische Antworten erwarten könne, nur um dann hochpolitisch die Wurzeln der Gewalt schon in den Erfahrungen der frühen Kindheit zu verorten. Zusammen mit einem Vorwort der deutschen Journalistin und Rassismuskritikerin Dunja Hayali und einem Nachwort der Lindgren-Verlegerin bei Oetinger, Silke Weitendorf, ist aus dem Abdruck der Rede ein kleines Büchlein entstanden, das die immer noch hochaktuelle Botschaft Lindgrens heute neu verbreitet.

Astrid Lindgren: Niemals Gewalt! Aus dem Schwed. von Anna-Liese Kornitzky.  76 Seiten, Oetinger, Hamburg 2017 EUR 5,20

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

In der Fremde

thor_maedchen_weit_wegEine alte Frau, die Graue, wohnt in einer Hütte mitten im Wald. Allein, und das mag sie. Doch eines Nachts im Winter steht ein kleines Mädchen vor der Tür, ganz rot angezogen, und bittet um Einlass. Sie darf hereinkommen, doch nur kurz, denn die Graue ist lieber allein. Schließlich darf das Mädchen doch auf einer Matratze übernachten, aber am anderen Morgen muss es weiterziehen. Mit unbekanntem Ziel, denn sie kommt von weit her, wo sie niemanden mehr hat. Die Graue bleibt zurück, doch nun ist nichts mehr wie vorher, schließlich macht sie sich auf die Suche nach dem Mädchen.

Mit Kindern über das Thema Flucht zu reden ist nicht so einfach. In diesem Buch wird dazu auch nichts erklärt, aber gezeigt, wie es sich anfühlen kann, allein zu sein, in der Kälte, um Hilfe zu bitten, kurz vielleicht Aufnahme zu finden, aber immer noch allein zu sein. Die Welt der Grauen ist zwar adrett, Farbe bekommt sie – und das zeigen die Illustrationen voll Wärme – erst durch das kleine rote Mädchen. Voll Gefühl.

Annika Thor: Das Mädchen von weit weg. Illustriert von Maria Jönsson. Aus dem Schwed. von Kerstin Behnken. 32 Seiten, Oetinger, Hamburg 2016 EUR 13,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2016

Lumikkis Schwester

simukka_schwarzEndlich ist er da, der dritte Band der Lumikki-Trilogie der finnischen Autorin Salla Simukka. Und es wird, wie zu erwarten war, schaurig und blutig. Lumikki hat sich gerade erst von den Erlebnissen in Prag erholt. Der Herbst war etwas ruhiger und sie ist neu verliebt, als sie in der Vorweihnachtszeit plötzlich rätselhafte Botschaften bekommt. Jemand weiß nicht nur alles über ihr derzeitiges Leben, weil er sie anscheinend beobachtet, sondern auch über die geheimnisvollen Ereignisse in ihrer Kindheit, an die sie selbst nur vage Erinnerungen hat. Hatte sie wirklich eine Schwester? Die Botschaften werden zu Drohungen und Lumikki wagt nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Dann taucht auch ihre alte Liebe Flamme wieder auf. Doch wem kann sie noch vertrauen? Das Buch ist spannend, die Auflösung des Spannungsbogens am Ende schlüssig. Leider kann der Band aber wie schon der zweite Teil der Trilogie nicht hundertprozentig an die literarische Qualität des ersten Bandes anschließen. Mit „So rot wie Blut“ wurde Simukka – völlig zu Recht – über Nacht berühmt, die Rechte für die Trilogie wurden schnell in zahlreiche Länder verkauft und damit wohl zu viel Zeitdruck erzeugt. Dennoch eine große Lese- und Geschenkempfehlung für alle, die Spannung und Nervenkitzel suchen – auch ohne Fantasy.

Salla Simukka: So schwarz wie Ebenholz. Roman. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. 197 Seiten, Arena, Würzburg 2015  EUR  14,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2015

Eine Finnin in Prag

simukka_weissWiedersehen mit Lumikki aus „Rot wie Blut“ von Salla Simukka. Lumikki erholt sich von ihren kriminalistischen Abenteuern auf einer Reise ins sommerlich heiße Prag. Sie lässt ihre Gedanken ziehen und erinnert sich immer wieder an den letzten Sommer mit ihrer ersten großen Liebe Flamme, die nicht halten konnte, weil Flamme vom Umgang mit der eigenen Transsexualität so in Anspruch genommen war, dass für eine Beziehung kein Raum blieb.

Doch Lumikki wird aus ihren Gedanken gerissen, als sie eines Tages von einem Mädchen angesprochen wird, das behauptet, ihre Schwester zu sein. Diese Begegnung wirft sie einerseits aus der Bahn, weil immer wieder Erinnerungen an ihre frühe Kindheit auftauchen, in denen noch ein zweites Mädchen vorkommt, andererseits wird sie in dramatische Geschehnisse rund um eine ominöse Sekte hineingezogen, der die vermeintliche Schwester angehört. Recht schnell wird die Situation mehr als bedrohlich und Lumikki gerät erneut in Lebensgefahr.

Ganz reicht der Band nicht an den ersten Band heran, aber das ist auch ein typisches Phänomen beim Mittelband einer Trilogie, es werden immer noch neue Geheimnisse angedeutet, ohne die ersehnte Auflösung – es gilt also auf den abschließenden Band zu warten!

Salla Simukka: So weiß wie Schnee. Roman. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. 250 Seiten, Arena Verlag, Würzburg 2015     EUR 15,30

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2015

Durst

itäranta_geschmack_von_wasserWir befinden uns wohl 100 Jahre in der Zukunft. Die Erde ist durch den Klimawandel völlig verändert, große ehemalige Landmassen liegen unter dem Meer, die übrigen Gebiete leiden unter heißen Temperaturen und Wassermangel – auch das Gebiet des heutigen Finnlands. Nach jahrzehntelangen Kriegen und Chaos herrscht eine Art globaler Militärdikatatur. Wasser ist das begehrteste Gut, wer den Zugang zu Wasser kontrolliert, hat alle Macht. Das alles erfahren wir nach und nach im Laufe des Buches. Durch die eindringliche Schilderung des Alltages hat eine spätestens ab Seite 20 einen trockenen Mund und großes Verlangen nach einem Glas Wasser. Die Ich-Erzählerin Noria ist die Tochter eines Teemeisters und einer Wissenschaftlerin. Sie möchte in die Fußstapfen ihres Vaters und dessen Vorfahren treten und die Durchführung der rituellen Teezeremonien übernehmen. Mit der Funktion der Teemeisterin übernimmt sie schließlich auch die Verantwortung über ein Geheimnis, das in ihrer Familie seit Generationen weitergegeben wird und das ihr Leben zwar vordergründig angenehmer und privilegiert, aber vor allem sehr gefährlich macht. Die Frage, wem sie noch trauen kann, ob sie ihrer besten Freundin Sanja noch vertrauen kann, wird bestimmend, denn gemeinsam sind sie einer riesigen Verschwörung auf der Spur. Ein Buch, das unter die Haut geht!

Emmi Itäranta: Der Geschmack von Wasser. Roman. Übersetzt von Anu Stohner. 338 Seiten, dtv, München 2014  EUR 15,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2014