Durst

itäranta_geschmack_von_wasserWir befinden uns wohl 100 Jahre in der Zukunft. Die Erde ist durch den Klimawandel völlig verändert, große ehemalige Landmassen liegen unter dem Meer, die übrigen Gebiete leiden unter heißen Temperaturen und Wassermangel – auch das Gebiet des heutigen Finnlands. Nach jahrzehntelangen Kriegen und Chaos herrscht eine Art globaler Militärdikatatur. Wasser ist das begehrteste Gut, wer den Zugang zu Wasser kontrolliert, hat alle Macht. Das alles erfahren wir nach und nach im Laufe des Buches. Durch die eindringliche Schilderung des Alltages hat eine spätestens ab Seite 20 einen trockenen Mund und großes Verlangen nach einem Glas Wasser. Die Ich-Erzählerin Noria ist die Tochter eines Teemeisters und einer Wissenschaftlerin. Sie möchte in die Fußstapfen ihres Vaters und dessen Vorfahren treten und die Durchführung der rituellen Teezeremonien übernehmen. Mit der Funktion der Teemeisterin übernimmt sie schließlich auch die Verantwortung über ein Geheimnis, das in ihrer Familie seit Generationen weitergegeben wird und das ihr Leben zwar vordergründig angenehmer und privilegiert, aber vor allem sehr gefährlich macht. Die Frage, wem sie noch trauen kann, ob sie ihrer besten Freundin Sanja noch vertrauen kann, wird bestimmend, denn gemeinsam sind sie einer riesigen Verschwörung auf der Spur. Ein Buch, das unter die Haut geht!

Emmi Itäranta: Der Geschmack von Wasser. Roman. Übersetzt von Anu Stohner. 338 Seiten, dtv, München 2014  EUR 15,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2014

Schneewittchen

simukka_rotLumikki, deren Name auf Finnisch Schneewittchen bedeutet, ist zwar noch Schülerin, hat aber ihre eigene Wohnung seit sie in die Stadt gezogen ist, wo sie eine besondere Kunstschule besucht. Sie ist eine Einzelgängerin, die am besten allein zurecht kommt. Darum ist sie auch alles andere als begeistert, als sie von einigen MitschülerInnen in eine mysteriöse Geschichte hineingezogen wird. Alles beginnt mit einer wilden Party, drogenbeeinflussten Jugendlichen und einem Haufen blutgetränkter Geldscheine, die sie im Schnee finden und in einer absurden Aktion in der Dunkelkammer der Schule reinwaschen. Für reichlich Action ist spätestens gesorgt, als einige Kriminelle Lumikki verdächtigen, das Geld versteckt zu haben und versuchen, sie zu entführen. Für Lumikki bleibt schließlich nur die Flucht nach vorn und sie begibt sich in die Höhle des Löwen, um das Rätsel um das blutige Geld zu lüften. Doch hinter der Fassade des toughen Mädchens stecken traumatische Kindheitserinnerungen, Familiengeheimnisse werden angedeutet und auch von der ersten Liebe blieb nur die Erinnerung an einen Sommer mit der lebenslustigen Eisverkäuferin. Der Spannungsbogen ist mit „So rot wie Blut“ aber erst eröffnet, denn der Band ist Teil Eins einer Trilogie. Clever konsturiert, denn ich zumindest will unbedingt wissen, wer Lumikki wirklich ist und wie es ihr weiterhin ergeht!

Salla Simukka: So rot wie Blut. Thriller. Übersetzt von Elina Kritzokat. 281 Seiten, Arena, Würzburg 2014        EUR 15,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2014

Sommer an der See

dohm_sommerlieben Hedwig Dohm, Grande Dame der Ersten (bürgerlichen) Frauenbewegung inDeutschland, schrieb 1909 als beinahe 80-Jährige ihren letzten Prosaband „Sommerlieben“, der nun zum wiederholten Mal in gut 100 Jahren neu aufgelegt wurde. Es handelt sich dabei um eine luftig leichte „Freiluftnovelle“ in Briefform, die viele Phänomene ihrer Zeit haarscharf unter die Lupe nimmt. Die Handlung spielt in einem der zur Jahrhundertwende sehr beliebten Seebäder an der Ostsee. Marie Luise – ja die Namen jener Zeit hört man heute wieder auf vielen Spielplätzen – schreibt an ihren Schwager, der von seiner Frau, ihrer Schwester, verlassen wurde und um deren gemeinsame Kinder Marie sich während der Sommerferien kümmert. So berichtet sie gleich am ersten Tag verzückt, dass man sie im Kurkalender irrtümlicherweise als „jüngere Witwe“ führt und somit ihre Stellung unter den Kurgästen eine viel bessere ist als als ledige Frau Mitte 30. Humorvoll beschreibt sie den Standesdünkel der Leute, die Launen und Streiche der Kinder und die unverschämten, aber einfallsreichen Versuche der KüstenbewohnerInnen die TouristInnen abzuzocken. Besonders amüsant auch die Episoden mit den herumscharwenzelnden Verehrern. Die Antworten des Schwagers fehlen, aber er wird wohl eifersüchtig gewesen sein.

Ein schmaler Band, den man in wenigen freien Stunden verschlingt, bevorzugt im Strandkorb, aber bei Schietwetter am Sofa passt er auch.

Hedwig Dohm: Sommerlieben. Freiluftnovelle. 120 Seiten, edition ebersbach, Berlin 2013          EUR 16,30

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2013

60ies in Norway

Anne B. Ragde führt uns von Etage zu Etage eines Wohnhauses in den 1960er Jahren. Wir treffen unterschiedliche Familien, lernen ihre Vorlieben und Schwächen können. Die Frauen sind Hausfrauen, die Männer arbeiten – oft als Verkäufer für Autos oder Instantsuppen. Es wird viel geputzt und brav konsumiert, was man aus US-Filmen so kennt: Autos, Staubsauger, Tiefkühltruhen. Aber in dieser neuen städtischen Mittelschicht, die im Kontrast zu ihrer oft bäuerlichen Herkunft, ein Leben in Wohlstand führt, gibt es wenig wirkliche Zufriedenheit. Vielmehr ein beständiges Gefühl, es doch gut haben zu müssen, weil die Zeiten nun bessere sind. Die mögliche Erwerbstätigkeit der Frauen kommt immer wieder zur Sprache; entweder weil ein Zusatzeinkommen nötig wird, um dem Konsumdruck standzuhalten, oder als Drohung an den Ehemann, damit er mehr Haushaltsgeld rausrückt.

Das Haus ist hellhörig und die Nachbarschaft neugierig, aber es gibt keinerlei Nähe zwischen den BewohnerInnen. Die hübsche Kinderlose aus dem dritten Stock wird von allen Männern als Sexsymbol angeschmachtet und von allen Frauen verachtet, bleibt selbst aber extrem einsam. Die psychisch kranke Jungmutter bekommt keine Hilfe. Der Roman zeichnet mal unterhaltsam und ironisch beobachtend, mal tragisch analysierend ein zwiespältiges Zeitbild einer Art Zwischenepoche: das alte bäuerlich geprägte Norwegen ist auf dem Weg zum modernen Sozialstaat, aber noch lange nicht dort angekommen.

Anne B. Ragde: Ich werde dich so glücklich machen. Roman. Übersetzt von Gabriele Haefs. 287 Seiten, btb Verlag, München 2012        EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2013

Große Schwindelei

ekmann_schwindlerinnenBarbro Andersson und Lillemor Troj studieren in den 1950er Jahren gemeinsam in Uppsala. Barbro will an einem Literaturwettbewerb teilnehmen; der steht unter dem Motto: ein Lucia-Kurzkrimi. Doch als eher durchschnittlich attraktive Frau rechnet sie sich wenig Chancen aus. Also schickt sie ein Foto der blonden, luciagleichen Lillemor mit. Die beiden gewinnen, Lillemor nimmt den Preis entgegen, das Geld wird geteilt. Das ist der Anfang einer großen Autorinnenkarriere. Barbro schreibt und schreibt, Lillemor kommentiert und repräsentiert. Beide sind – meist – zufrieden mit ihren Rollen. Doch viele Jahre später – Lillemor wurde inzwischen sogar in die Schwedische Akademie gewählt – taucht bei ihrem Verleger das Manuskript für einen Unterhaltungsroman auf – der Plot: die betrügerische Geschichte einer Autorin, die nie eine Zeile selbst geschrieben hat. Lillemor gelingt es zwar, in Besitz des Manuskripts zu kommen, doch Barbro – die eindeutig seine Autorin ist – will sie erst mal auch nicht treffen.

Abwechselnd lesen wir, was Lillemors in der Gegenwart widerfährt und Barbros in Ich-Form geschriebenes Manuskript. Von den Höhen und Tiefen beider Leben, von Liebe, Schicksalsschlägen und Jobs, von Sexismus und Erfolg. Von Freundinnen- und Feindinnenschaft.

Kerstin Ekman, eine der bedeutendsten schwedischen Gegenwartsautorinnen, wird heuer 80. In einer Phase, in der manche AutorInnen Lebensrückblicke oder Autobiographien schreiben, geht Ekman – wieder einmal – ihren ganz eigenen Weg und schreibt ironische, mit ihrer Branche abrechnende Autofiktion, die – ganz große Literatur eben – auch als Roman bestens funktioniert – oder umgekehrt? Mein Buch des Jahres!

Kerstin Ekman: Schwindlerinnen. Roman. Übersetzt von Hedwig M. Binder. 448 Seiten, Piper, München 2012   EUR 23,70

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2013

Damen in Romanen

„Damenroman“ nannte der berühmte Literaturkritiker des Modernen Durchbruchs in Skandinavien Georg Brandes solche Büchern, wie sie zum Beispiel seine Zeitgenossin und zeitweilige Geliebte Victoria Benedictsson schrieb: Bücher von Frauen über Frauenfiguren, die versuchten eigenständige Lebenswege einzuschlagen. Victoria Benedictsson beging nicht zuletzt wegen der Missachtung ihres literarischen Werkes Selbstmord. Sigrid Combüchen gewinnt 125 Jahre später mit einem „Damenroman“ den begehrten August-Preis. Dabei ist es wohl weniger die reine Handlung von „Was übrig bleibt.“, die das Buch besonders macht, sondern der künstlerische Kniff, der diese Handlung in einen Rahmen stellt: die Autorin tritt im Roman als Ich-Erzählerin auf, die von einer Leserin einen Brief erhält. Daraus entwickelt sich eine jahrzehntelange Briefbekanntschaft, die die Autorin dazu nutzt, Inspiration für einen Roman zu gewinnen, der von den Jugendjahren ebendieser Leserin Hedda handelt. Ein Erwachsenwerden in den 1930er Jahren, zwischen Konventionen und Aufmüpfigkeit, zwischen familiären Zwängen und ersten erotischen Abenteuern. Detailreich zeichnet die Autorin das Leben von Hedda als Schülerin in Lund und später als Studentin einer „Modeakademie“ in Stockholm, das absolut authentisch wirkt. Ein sehr schöner Ferienschmöker.

Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt. Ein Damenroman. Übersetzt von Paul Berf. 494 Seiten, Verlag Antje Kunstmann, München 2012    EUR 25,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2012

Lo

Eine neue Stadt, sündteure neue Stiefel, ein fremder Mann für eine Nacht. Das sind die Dinge, die Lo (sprich „Lu“) sich am Leben fühlen lassen. Doch Lo ist auf der Suche. Sie kehrt zurück ins Dorf ihrer Kindheit. Eine Kindheit umgeben von Verwandten, die aus ökonomischen Gründen von Norrland nach Schonen ziehen mussten. Ein Vater, der eines Tages wegging. Ein Unglück, das früher in Norrland geschehen war und über das niemand sprach. Und dann gab es da noch Lukas, den Jungen aus dem Dorf, den alle eigenartig oder gar gefährlich fanden, der sich aber trotz sechs Jahren Altersunterschieds mit Lo anfreundete. Die Erwachsenen betrachteten diese Beziehung mit Argwohn, verbaten sie. Doch Lo und Lukas waren seelenverwandt, später auch verliebt, bis der Tod von Lukas Vater und ein Brand alles aus dem Lot brachten.

Die schwedische Autorin Anne Swärd schreibt in ihrem zweiten auf Deutsch erschienenen Roman über eine Frau auf der Suche nach ihrer Herkunft und dem Menschen, der ihr je am meisten bedeutet hat. Eine schmerzhafte Suche. Aus verschiedenen Erzählperspektiven – einmal aus der Vergangenheit, einmal aus der Gegenwart – nähert sich die Ich-Erzählerin einer Geschichte über das Erwachsenwerden, über die unterschiedlichsten Gründe, warum Menschen einander anziehend finden und nicht zuletzt auch einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte. Sehr empfehlenswert.

Anne Swärd: Bis zum letzten Atemzug. Roman. Übersetzt von Sabine Neumann. 346 Seiten, Suhrkamp Nova, Berlin 2011     EUR 15,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011

Katariinas Vater

Katariinas Vater hat sie und ihre Mutter verlassen, als sie zwei war. Bewusste Erinnerungen an ihn hat sie keine, nur an das Telefonat, als sie zwölf war, und sie ihm mitteilte, dass sie sich „nicht mit fremden Männern trifft.“ Jetzt ist Katariina mit dem Fotografen Olli verheiratet und selber Mutter. Sie wohnt mit ihrer Familie auf Suomenlinna, einer Insel in Helsinki – zentral und dennoch abgeschieden. Der Frühling kommt langsam ins Land, als eines morgens der Alltag aus den Fugen gerät: die Polizei steht vor der Tür und teilt Katariina mit, dass ihr Vater gestorben sei. Kann es sein, dass der Tod eines Unbekannten eine so aufwühlt? Es kann. Und noch mehr die Tatsache, dass sie drei Halbgeschwister hat. Es beginnt eine unwirkliche Zeit der Trauer, die Katariina so unpassend vorkommt. Praktische Dinge müssen organisiert werden, die Geschwister kommen zu Besuch. Die Tochter distanziert sich von ihr und die Beziehung zu Olli fährt Achterbahn.

Erzählt wird aus ständig wechselnder Perspektive: alle ProtagonistInnen kommen in Ich-Form zu Wort, während Katariinas Sichtweise in der dritten Person erzählt wird – womit die Leserin ihr genauso wenig nahe kommt wie ihre Umwelt. Ein großartiges Buch mit einem Kaleidoskop unterschiedlicher Charaktere, in dem tiefe Gefühle genauso Platz haben wie humorvolle Episoden. Gleich lesen!

Katja Kallio: Zeit der Zugvögel. Roman. Übersetzt von Alexandra Stang. 347 Seiten, Krüger Verlag, Frankfurt/Main 2011       EUR 17,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2011

Mörderische Moral

Die schwedische Autorin Kerstin Ekman versetzt die LeserInnen diesmal ins Jahr 1919. Der Arzt Pontus Revinge blickt zurück auf 13 ereignisreiche Jahre, in denen er sich viele Notizen gemacht hat. Diese will er nun noch einmal lesen will, bevor er sie vernichtet. Vieles in seinem Leben ist von der Überzeugung, ja Besessenheit, bestimmt, dass er einst den Autor Hjalmar Söderberg zu dessen berühmten Roman „Doktor Glas“ inspirierte. Dieser Roman löste bei seinem Erscheinen 1905 einen Skandal aus, kreiste er doch um die Frage, ob es eine moralische Rechtfertigung für einen Mord geben kann. Revinge in Ekmans Roman bildet sich also ein, einen wichtigen Anstoß zu Söderbergs Roman geliefert zu haben. Tatsächlich wird er selbst zum Mörder. Als sich die Gelegenheit bietet, tötet er den Arzt, für den er arbeitet. Dieser ist ihm schon länger verhasst, weil er in Revinges Augen seine Stieftochter belästigt. Scheint seine Motivation erst noch sympathisch, zeigt sich allzu bald, dass Revinge unter anderem in dieser Hinsicht in die Fußstapfen seines Arbeitgebers steigen will.

„Tagebuch eines Mörders“ ist ein kunstvoll angelegter Roman, der mit der Spannung zwischen Fiktion und Tatsachen spielt und so auch die oft völlig an jeder Realität vorbeigehenden Gedanken der Hauptfigur spiegelt. Wie schon früher in Ekmans Werk dreht sich vieles um die Lebensbedingungen von Frauen zu jener Zeit: etwa die Umstände von Abtreibungen oder die ersten Frauen, die es schafften Ärztinnen zu werden. Ein grundsätzliches Thema ist hierbei die Verfügbarkeit weiblicher Körper für Männer – und die Rolle von Ärzten dabei. Das Buch ist mit seinen vielen Anspielungen eine Fundgrube für Literaturwissenschaftlerinnen, aber auch eine anspruchsvolle Lektüre für alle anderen Literaturbegeisterten.

Kerstin Ekman: Tagebuch eines Mörders. Roman. Übersetzt von Hedwig M. Binder. 245 Seiten, Piper, München 2011         EUR 18,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2011

Fegefeuer 20. Jahrhundert

Estland – längst EU-Mitglied, beliebter werdendes Reiseziel und doch auch unbeschriebenes Blatt, was unser Wissen über seine Geschichte angeht. Diesbezüglich bringt Sofi Oksanen, Tochter einer Estin und eines Finnen, einige Klarheit – weniger vielleicht was das Faktische betrifft, dafür umso eindrücklicher was Emotionen, Gesellschaftsstrukturen und politisches Klima anbelangt. Wechselnde Regime – Unabhängigkeit, deutsche und russische Besatzung, Eingliederung in die UdSSR, dann wieder Unabhängigkeit – prägten das 20. Jahrhundert. Was das für die Menschen hieß, v.a. wenn sie sich politisch engagierten, liest sich in diesem Roman mit. Gerade die Rollen und Positionen, die Frauen aufgezwungen bzw. zugestanden wurden, werden deutlich. In Aliide und Zara treffen Großmütter- und Enkelinnengeneration aufeinander. Beide haben die extremsten Erfahrungen ihrer Zeit gemacht – die eine gefoltert und vergewaltigt, weil sie einen Partisanen versteckte. Die andere aufgewachsen mit einer Mutter, die als Kind Folter und sibirische Lager überlebte, wird als Zwangsprostituierte in den Westen verschleppt. Dass zwischen den beiden Frauen eine verwandtschaftliche Verbindung besteht, die durch Verrat und Schuld geprägt ist, spannt den inhaltlichen Bogen. Die im Klappentext gemachte vereinfachende Feststellung: „Egal, welches politische System auch herrscht, Opfer sind immer die Frauen“, wird dem Roman – zum Glück – nicht gerecht. Die Autorin entwickelt ihre Geschichte und Charaktere differenzierter. Aliide etwa ist eine äußerst komplexe Persönlichkeit, deren Motive teilweise rätselhaft bleiben; aber gerade das macht sie auch authentisch. Ein Roman, der seine vielen Preise absolut verdient hat.

Sofi Oksanen: Fegefeuer. Roman. Übersetzt von Angela Plöger. 396 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010            EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2010