Willkommen zum NordNerds Adventskalender 2018 – Türchen 9 wartet

Logo NordNerds Adventskalender 2018Michel aus Lönneberga, Pippi Langstrumpf und Madita, sie alle haben mir schon als Kind die Zeit des Wartens auf Weihnachten verkürzt – sei es durch die Schilderungen des idyllischen schwedischen Weihnachtens oder durch die mit Sicherheit zu den Feiertagen wiederkehrende Ausstrahlung der diversen Verfilmungen. Es lag also mehr als nahe, mein Türchen Nr. 9 des NordNerds Adventskalenders 2018 mit einem Beitrag zu jener Frau zu füllen, die mir und so vielen anderen diese Fantasiewelten geschenkt hat: Astrid Lindgren. Und weil es so schön ist, aus dem Adventskalender kleine Geschenke zu holen, gibt es auch etwas zu gewinnen.

Astrid Lindgren – Film und Gewinnspiel

FilmplakatSo bekannt Astrid Lindgrens Bücher und Filme auch sind, und zwar mit ungebrochener Beliebtheit über inzwischen mehrere Generationen von Lesenden, so wenig weiß man – zumindest außerhalb Schwedens – über die Autorin selbst. Vielleicht ist das auch gar nicht notwendig, denn schließlich sprechen ihre Werke für sich. Doch nun, fast 17 Jahre nach dem Tod Lindgrens, bringt ein neuer Film ganz private Seiten ihrer Biografie auf die Leinwand. Die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen ist eigenen Angaben zufolge durch Zufall auf die Geschichte jener einschneidenden Erlebnisse aus den Jugendjahren der Autorin gestoßen, die sie zu weiteren Recherchen und schließlich dem gerade auch im deutschsprachigen Raum angelaufenen Film „Astrid“ inspiriert hat.

Ein Geheimnis war es nie, in allen Biografien ist es nachzulesen, doch nachdem Lindgren selbst sich später nie öffentlich dazu geäußert hat, wurde auch nie eine große Sache daraus. Mit 16 Jahren bekam Astrid – damals Ericsson – die Chance, als Volontärin bei der Zeitung von Vimmerby zu arbeiten und damit sich erstmals in jenem Metier zu erproben, das später ihr Leben prägen sollte, dem Schreiben. Sie war jung und hungrig nach dem Leben, es waren die „wilden“ 20er Jahre, ein bisschen auch in Småland. Doch eine Affäre mit dem 30 Jahre älteren Chefredakteur der Zeitung blieb nicht folgenlos. Astrid wurde schwanger, und „wilde“ 20er Jahre hin oder her, im Dorf wäre das ein Skandal geworden, hätte es sich herumgesprochen. Eine leichte Lösung für die entstehenden Probleme gab es nicht. Eine Heirat mit dem noch dazu anderweitig verheirateten künftigen Vater kam nicht in Frage.

Astrid floh aus ihrem Heimatort nach Stockholm und begann dort eine Ausbildung zur Sekretärin. Das Kind brachte sie in Kopenhagen auf die Welt, wo das einzige Krankenhaus Skandinaviens lag, in dem Geburten nicht offiziell an die Heimatgemeinden gemeldet wurden und es möglich daher möglich war, den Vater nicht bekannt zu machen. Doch mit nach Hause nehmen konnte sie den kleinen Lasse nicht, er blieb bei einer Pflegemutter in Dänemark. Astrid schloss ihre Ausbildung ab, lebte in einem kalten Untermietszimmer und hungerte, damit sie ab und zu eine Reise über den Öresund zu ihrem Sohn finanzieren konnte. Erst nach einigen Jahren war Astrid in der Lage, ihr Kind nach Stockholm zu holen.

Der Film mit der dänischen Schauspielerin Alba August in der Hauptrolle konzentriert sich auf jene wenigen Jahre des Erwachsenwerdens und versucht mit großer Emotion die Bedeutung dieser schweren Erfahrungen für das Schaffen einer später berühmten Autorin zu ergründen. Während der Film in Schweden ein großer Publikumserfolg ist und vor allem die Leistung der Hauptdarstellerin hoch gelobt wird, gibt es auch kritische Stimmen, nicht zuletzt von Personen, die Lindgren persönlich kannten. Biografische Filme müssen immer interpretieren und Lücken in der Erzählung füllen – und diese Lücken sind hier aufgrund der Zurückhaltung Lindgrens groß. Dadurch werden Filme wie dieser aber auch zu eigenständigen Werken, in denen Fakten und Fiktionen zu einer neuen Geschichte verwebt werden. In diesem Fall die Geschichte einer jungen Frau, die gegen alle Konventionen der Gesellschaft ihrer Zeit kämpft und große Entbehrungen auf sich nimmt, um sich so viel Autonomie wie möglich zu verschaffen, und das ist weit über die Lebensgeschichte Lindgrens hinaus interessant und sehenswert.

Kinokarten zu gewinnen

Neugierig geworden? Du möchtest selbst eintauchen in diese Erzählung übers Erwachsenwerden unter besonders schwierigen Umständen? Dann kannst Du hier 2 x 2 Kinokarten für den Film „Astrid“ gewinnen. Mitmachen können alle, die über 18 und in Österreich wohnhaft sind. Alles was Du tun musst, ist unter diesem Artikel in den Kommentaren zu posten, welches Deine Lindgren-Lieblingsfigur ist und warum.

Unter allen Kommentaren, die bis 14. Dezember 2018 um 23:59 eingehen, wird ausgelost. Die GewinnerInnen werden per E-Mail verständigt. (Deine E-Mail-Adresse ist zur Abgabe eines Kommentars nötig. Sie wird aber nicht auf der Webseite angezeigt und für keinen anderen Zweck als die Gewinnspielabwicklung verwendet oder gespeichert.) Hier geht es zu den Teilnahmebedingungen im Detail.

Weiterlesen

Wenn Du einstweilen schon mal mehr zu Astrid Lindgren lesen möchtest, findest Du auf meinem Blog Artikel zu Lindgrens Engagement gegen Gewalt gegen Kinder, zu einem wunderschönen Bildband mit Eindrücken aus allen Lebensabschnitten der Autorin, zur Urfassung von Pippi Langstrumpf sowie zum Briefwechsel mit Sara Schwardt.

 

Dieser Artikel ist ein „Türchen“ des NordNerds-Adventskalenders. Mehr nordischen Weihnachtsflair gibt es täglich auf folgenden Blogs:

  1. Sa www.mahtava.de
  2. So www.schwedenundso.de
  3. Mo www.bessernordalsnie.net
  4. Di www.sanddornundseegras.de
  5. Mi www.mahtava.de
  6. Do www.fernwehge.com
  7. Fr www.nordlandfieber.de
  8. Sa www.nordlicht-unterwegs.de
  9. So www.nordstein.at
  10. Mo www.utiniswundertuete.de
  11. Di www.tarjasblog.de
  12. Mi www.wienerbroed.com
  13. Do www.schwedenhappen.ch
  14. Fr www.bit.ly/franziinschweden
  15. Sa www.kapidaenin.de
  16. So www.besser-nord-als-nie.net
  17. Mo www.heldenunterwegs.de
  18. Di www.toertchenmadeinberlin.com
  19. Mi www.einfachschweden.de
  20. Do www.mahtava.de
  21. Fr www.elchkuss.de
  22. Sa www.meerblog.de
  23. So www.kapidaenin.de
  24. Mo www.finnweh.de 

Eiskalt

Für alle, die in brütender Sommerhitze schon vom Winter träumen, verspricht dieses Buch Abkühlung. Siri lebt in einer arktischen, kargen Inselwelt. Ihre Mutter ist tot, aber ihr alter Vater kümmert sich mit seinem bescheidenen Einkommen als Fischer um Siri und ihre kleine Schwester Miki. Die kleine Welt der Familie kommt ins Wanken, als Miki von den Piraten von Kapitän Weißhaupt entführt wird. Siri hatte nur ganz kurz nicht auf sie achtgegeben. Die ganze Gegend fürchtet die Piraten, die kleine Kinder rauben, um sie in einer Diamantenmine schuften zu lassen. Mikis Schicksal scheint ausweglos, doch Siri macht sich sofort auf den Weg, ihre Schwester zu befreien. Mit dem letzten Handelsschiff, bevor das Meer für den Winter zufriert, heuert sie als Küchengehilfin an. Schiffskoch Fredrik wird ihr Freund, auch er hat seine Schwester an die Piraten verloren. Es beginnt eine abenteuerliche Reise, auf der Wölfe und Eiseskälte noch die geringsten Gefahren sind. Auf der Landkarte im Umschlag lässt sich Siris Route mitverfolgen. Realistische Schilderungen werden unterbrochen von fantastischen Passagen, die aber in der außergewöhnlichen Gesamtstimmung des Buches wunderbar passen. Heldinnengeschichten wie die der mutigen Siri würde ich gerne mehr lesen!

Frida Nilsson: Siri und die Eismeerpiraten. Aus dem Schwed. von Friederike Buchinger. Mit Illustrationen von Torben Kuhlmann. 371 Seiten, Gerstenberg, Hildesheim 2017 EUR 15,40 ab 10 J.

Seltsame Dinge

Die schwedische Autorin Åsa Foster erlaubt in ihren zehn Kurzgeschichten, die alle in der südschwedischen Region Schonen handeln, wo die Autorin kreatives Schreiben studiert hat, einen Einblick in den Alltag von ganz gewöhnlichen Menschen, denen doch Seltsames widerfährt. Die Settings sind teilweise so alltäglich, die Figurentypen so wohlbekannt, dass man fürchtet, es könnte langweilig oder stereotyp werden, doch das passiert nie. Themen, die behandelt werden, sind Mutterschaft, die Monotonie von Langzeitbeziehungen, die Einsamkeit neuer Zugezogener, finanzielle Krisen und immer wieder die Liebe. Mal ist das amüsant, mal bedrückend, dann überraschen Bekenntnisse, die den Schein, dass alle anderen die Herausforderungen des Alltags so souverän meistern, antasten. Einfach gut zu lesen! Hoffentlich gibt es bald Lesenachschub von Åsa Foster. Dem Vernehmen nach arbeitet sie gerade an einem Roman.

Åsa Foster: Und außerdem machen die Leute heutzutage so seltsame Dinge. Aus dem Schwed. von Ursel Allenstein und Stefan Pluschkat. 222 Seiten, Arche Verlag, Zürich-Hamburg 2017EUR 20,60

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

Kalt

Der Zugang zum von der Kritik viel gelobten Roman „Die weiße Stadt“ von Karolina Ramqvist und zur Protagonistin fällt nicht leicht. Karin lebt isoliert und am Rande der Verwahrlosung alleine mit ihrem Baby in einem großen eingeschneiten Haus mit Blick auf Wald und See. Vieles stimmt hier ganz und gar nicht, doch wie kam das? Schicht um Schicht ent‑ hüllt sich langsam das Bild einer auf den Kopf gestellten Existenz – einst die in Luxus lebende Frau eines Kriminellen, jetzt aus diesen Kreisen verstoßene stillende Witwe. Handlungsunfähig und wie gelähmt ist sie, nicht einmal ihren Körper erkennt sie wieder, völlig vereinnahmt von dem Kind, das sie aussaugt. Doch gerade dieser Zwang hält sie in der physisch wie psychisch schmerz‑ haften Wirklichkeit, bis die Delogierung nicht mehr aufzuschieben ist. Ramqvist versteht es, eine eisige, beklemmende Stimmung zu erzeugen, mit aller Härte das Schicksal zu beschreiben, aus dem die Protagonistin nur selbst ausbrechen kann. Hilfe ist nicht zu erwarten, weder vom Wohlfahrtsstaat noch vom schicken Anwalt aus dem früheren Leben und scheinbar auch nicht von der einstmals besten Freundin. Aber überhaupt aus dem Haus zu gehen, ist schon ein Anfang.

Karolina Ramqvist: Die weiße Stadt. Aus dem Schwed. von Antje Rávic Strubel. 184 Seiten, Ullstein, Berlin 2016EUR 18,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

Niemals Gewalt!

1978 bekam die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und hielt bei den Feierlichkeiten zu dessen Verleihung eine flammende Rede gegen Gewalt in der Erziehung. Das Verleihungskommittee hatte sich dazu durchgerungen, erstmals eine Autorin auszuzeichnen, die „nur“ Kinderbücher schrieb. Und diese Autorin sprach nun nicht etwa über die Kraft der Fantasie, die man ihren Büchern zuschrieb, sondern über den Mangel an Frieden und das Übermaß an Gewalt in der Welt. Auch wenn sie – vermeintlich bescheiden, denn sie hatte auch sonst keine Hemmungen, den Mächtigen der Welt ihre Meinung mitzuteilen – anmerkte, dass man von ihr als Kinderbuchautorin wohl kaum politische Antworten erwarten könne, nur um dann hochpolitisch die Wurzeln der Gewalt schon in den Erfahrungen der frühen Kindheit zu verorten. Zusammen mit einem Vorwort der deutschen Journalistin und Rassismuskritikerin Dunja Hayali und einem Nachwort der Lindgren-Verlegerin bei Oetinger, Silke Weitendorf, ist aus dem Abdruck der Rede ein kleines Büchlein entstanden, das die immer noch hochaktuelle Botschaft Lindgrens heute neu verbreitet.

Astrid Lindgren: Niemals Gewalt! Aus dem Schwed. von Anna-Liese Kornitzky.  76 Seiten, Oetinger, Hamburg 2017 EUR 5,20

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2017

In der Fremde

thor_maedchen_weit_wegEine alte Frau, die Graue, wohnt in einer Hütte mitten im Wald. Allein, und das mag sie. Doch eines Nachts im Winter steht ein kleines Mädchen vor der Tür, ganz rot angezogen, und bittet um Einlass. Sie darf hereinkommen, doch nur kurz, denn die Graue ist lieber allein. Schließlich darf das Mädchen doch auf einer Matratze übernachten, aber am anderen Morgen muss es weiterziehen. Mit unbekanntem Ziel, denn sie kommt von weit her, wo sie niemanden mehr hat. Die Graue bleibt zurück, doch nun ist nichts mehr wie vorher, schließlich macht sie sich auf die Suche nach dem Mädchen.

Mit Kindern über das Thema Flucht zu reden ist nicht so einfach. In diesem Buch wird dazu auch nichts erklärt, aber gezeigt, wie es sich anfühlen kann, allein zu sein, in der Kälte, um Hilfe zu bitten, kurz vielleicht Aufnahme zu finden, aber immer noch allein zu sein. Die Welt der Grauen ist zwar adrett, Farbe bekommt sie – und das zeigen die Illustrationen voll Wärme – erst durch das kleine rote Mädchen. Voll Gefühl.

Annika Thor: Das Mädchen von weit weg. Illustriert von Maria Jönsson. Aus dem Schwed. von Kerstin Behnken. 32 Seiten, Oetinger, Hamburg 2016 EUR 13,40

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2016

Im Fluss

forstenson_sprache_und_regen1Mit „Sprache und Regen“ brachte der Hanser Verlag im Frühjahr 2016 einen Lyrikband der Schwedin Katarina Frostenson heraus. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Gedichten, die im Original zwischen 1999 und 2011 in vier unterschiedlichen Gedichtbänden erschienen. Frostenson wurde 1953 in Stockholm geboren, verfasste neben Lyrik auch Dramen und Prosa und arbeitet als Übersetzerin aus dem Französischen. Als Mitglied der Schwedischen Akademie ist sie sowohl als Frau als auch als Lyrikerin die Ausnahme von der Regel. In den 1980er Jahren, als Frostenson in Schweden zu einer der bedeutendsten Lyrikerinnen avancierte, wurde ihr Werk als wichtiger Repräsentant einer neuen weiblichen Poesie verstanden, die sich weigert sich an bestehende Formen anzupassen, ins innerste der Sprache vordringt und eine metaphorische Lyrik hervorbringt. Inzwischen hat sich ihr Stil weiterentwickelt und die Rezeption geändert, in der Geschlecht keine dominante Kategorie mehr ist. Ihr Sprachspiel und ihre Virtuosität – sie gilt als eine der am schwersten zugänglichen LyrikerInnen Schwedens – werden durch Funken von Humor ergänzt, die oftmals nur auf Zeichenebene aufblitzen. Die Gedichte in „Sprache und Regen“ entführen an die unterschiedlichsten Orte im Äußeren und Inneren. Regen, Flüsse, die Welt ist im Fluss. Poesie, auf die eine sich einlassen muss.

frostenson_sprache_und_regen2Besonders erfreulich für mich war eine Veranstaltung der Alten Schmiede gemeinsam mit der Schwedischen Botschaft in Wien im letzten Juni, die sich der Lyrik von Frostenson und Lotta Olsson widmete. Die zweisprachigen Lesungen waren ein Vergnügen und eine Widmung im schönen Lyrikband gab es am Ende auch.

Katarina Frostenson: Sprache und Regen. Aus dem Schwed. von Verena Reichel. 96 Seiten, Hanser, München 2016 EUR 16,40

Terror in Schweden

ljungber_dunkelheit1940, Nordschweden. Ein Terroranschlag auf eine kommunistische Zeitungsredaktion erschüttert die Stadt Luleå. Im Herbst 1939 greift Russland Finnland an, das sich im darauf folgenden sog. Winterkrieg überraschend lange gegen den übermächtigen Gegner behaupten kann. Im Nachbarland Schweden versucht die Regierung mit allen Mitteln den neutralen Status aufrecht zu erhalten. Im Süden droht Deutschland, im Osten Russland, und aus Westen über Norwegen versucht Großbritannien ins schwedische Norrland vorzudringen, denn dort gibt es enorme Eisenerzreserven. Die Neutralitätspolitik gefällt nicht allen. Vor allem der Kommunismus wird als Bedrohung gesehen. In Luleå bildet sich eine Gruppe um einen rechts-konservativen Journalisten und den zuständigen Staatsanwalt, die in der kommunistischen Zeitung Norrskensflamman (dt. Nordlichtflamme) eine so große Bedrohung sehen, dass sie einen Sprengstoffanschlag auf die Druckerpressen der Zeitung planen und ausführen. Dabei sterben fünf BewohnerInnen des Hauses, das völlig zerstört wird. Ann-Marie Ljungberg hat sich diesen Stoff durch gründliche Recherchen angeeignet und versucht in Form eines Dokumentarromans aufzuzeigen, wie es zu diesem Anschlag kam, wie sich die beteiligten Männer radikalisierten. Auf Grundlage der Aufzeichnungen aus dem Gerichtsverfahren gegen die Täter rekonstruiert die Autorin die Monate vor dem Anschlag und die Gerichtsverhandlung in wechselnden Vor- und Rückblenden. „Lassen Sie uns doch ein Komitee bilden“, ist jener lakonische Satz, der unumkehrbar den Schritt von Unzufriedenheit zu Unrecht markiert. Sehr lesenswert!

Ann-Marie Ljungberg: Dunkelheit, bleib bei mir. Aus dem Schwed. von Eva Scharenberg. 208 Seiten, Weidle, Bonn 2016 EUR 23,20

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2016

Vintage Krimi

Lang_LandfriedhofMaria Lang galt in den 1950er Jahren als „Krimikönigin“ Schwedens, ein Titel, den nach ihr noch eine Reihe von Autorinnen von der Kritik verliehen bekommen sollten. Lang war mit 42 zwischen 1949 und 1990 erschienen Kriminalromanen ihre Wegbereiterin. Vor ein paar Jahren wurde sie in Schweden neu entdeckt, ein paar ihrer Bücher verfilmt und nun beginnt die internationale Verbreitung. Im Titel „Tragödie auf einem Landfriedhof“ wird eine klassische Kriminalgeschichte im Stile von Miss Marple erzählt, und zwar aus der Perspektive einer jungen Literaturwissenschaftlerin, ihres Zeichens Rolemodel eines neuen Frauenbildes, intellektuell, gebildet, berufstätig. Und dennoch brave Ehefrau, apart gekleidet, die Nase über den Vamp in der Nachbarschaft und die unverhohlenen Blicke der Männer rümpfend. Eine ganz spannende Zeitreise also. Ach ja, einen Mord gibt es auch. Zu Weihnachten in der Nachbarschaft eines Pfarrhofs. Ganz nett konstruiert, mit versteckten Hinweisen, vielen Gesprächen mit Verdächtigen, Schauplatzskizzen, Zeittabellen, teilweise etwas klischeehaften Figuren. Aber das Besondere des Buches liegt eindeutig in der zeitgeschichtlichen Milieuschilderung.

 

Maria Lang: Tragödie auf einem Landfriedhof. Aus dem Schwed. von Stefan Pluschkat. 235 Seiten, btb Verlag, München 2015      EUR 17,50

erstmals erschienen in WeiberDiwan 01/2016

Reichlich Stoff zum Erzählen

axelsson_vortragDie schwedische Autorin Majgull Axelsson war am 13. Jänner 2016 zu Gast am Institut für Skandinavistik der Universität Wien und sprach über das Schreiben an sich, ihre Biografie und einige ihrer Werke.

Die 1947 geborene Autorin arbeitete 20 Jahre lang als Journalistin, „ganz durchschnittlich“, wie sie selbst fand, bis sie beschloss, diese „langweilige Art zu schreiben“ hinter sich zu lassen und sich dem Schreiben von Belletristik zu widmen. Über eine journalistische Publikation zum Thema Kinderarbeit wurde sie auf das Thema Kinderprostitution aufmerksam. Bei Recherchen auf den Philippinen lernte sie das Mädchen Rosario kennen, dessen Geschichte auf rein faktischem Niveau nicht darstellbar war. Sein Leben und Sterben waren für Axelsson ein Stoff, der erzählt werden musste.  axelsson_rosarioSo entstand der dokumentarische Roman „Rosario är död“ (dt. „Rosarios Geschichte“). Die Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema, Rosario arbeitet als Kinderprostituierte und stirbt nach einer Verletzung, die ihr ein Freier zufügt, qualvoll, war hart, aber das literarische Schreiben fiel Axelsson leichter. Sie beschloss, Vollzeitautorin zu werden; nicht weil das Buch sich so gut verkaufte, aber weil sie es sich mit Unterstützung durch ihren Mann doch irgendwie leisten konnte. Es entstand der erste rein fiktive Roman „Långt borta från Nifelhjem“ (1994, dt. „Der gleiche Himmel“), in dem eine Frau Anfang 40 nach Hause nach Schweden an das Totenbett ihrer Mutter reist und sich nicht nur mir ihrer Kindheits- und Jugendzeit konfrontiert sieht, sondern auch mit dem, was ihr nicht lang zuvor während eines Vulkanausbruchs auf den Philippinen zugestoßen ist, das sie aber noch verdrängt.

Axelsson sprach in ihrem Vortrag in Wien sehr offen über ihren privaten Hintergrund und wie dieser immer wieder bedeutsam für ihr literarisches Schaffen war. So erzählte sie, wie eine Alzheimererkrankung ihren Vater und ein Gehirntumor ihre Schwester stark veränderten und sie das in ihren Roman axelsson_aprilhexe„Aprilhäxan“ (1997, dt. „Die Aprilhexe“) einfließen ließ. Zentrale Figur des Romans ist Desirée, die in den 1950er Jahren mit einer schweren Behinderung geboren wird und sofort in ein Heim kommt. 40 Jahre später erhalten ihre drei (Pflege-)Schwestern einen Brief von ihr. Desirée versucht herauszufinden, wer von den dreien ihr Leben gestohlen hat. Doch wie der Roman eindrücklich darstellt, gibt es nicht nur darauf keine Antwort, vielmehr sind die Leben der Frauen alle auf eine Art verkorkst, dass man mit keiner tauschen möchte. Neben den Schicksalen der Protagonistinnen wird auch das schwedische Volksheim demontiert.  „Die Aprilhexe“ brachte Axelsson den großen Durchbruch, der Roman wurde zum Bestseller und u.a. mit dem prestigeträchtigen Augustpreis ausgezeichnet.

Nach dem großen Erfolg „kam die große Depression“ und es war schwierig, den Anschluss im Schreiben zu finden. Es dauerte viele Bücher lang, meint Axelsson, bis sie wieder einen Stoff fand, über den noch nicht viel geschrieben worden war und der ihr so richtig nahe ging. Damit spielt sie an ihren neusten Roman „Jag heter inte Miriam“ (2014, dt. „Ich heiße nicht Miriam“) an, der vom Umgang axelsson_miriamSchwedens mit der Minderheit der Roma handelt. Die Hauptfigur Miriam bekommt zu ihrem 85. Geburtstag ein Armband mit ihrem eingravierten Namen geschenkt und kommentiert das überrascht mit: „Ich heiße nicht Miriam“. Ihre Verwandten wissen nicht recht, ob sie richtig gehört haben und der Moment geht vorbei. Doch Miriams Enkelin lässt der Vorfall keine Ruhe und sie fragt nach. Die Geschichte, die sei dann zu hören bekommt, geht über die Grenzen des Vorstellbaren. Miriam, eine Jüdin, die mehrere KZ überlebt hat, wie alle meinen, hat schon im Lager durch Zufall eine andere Identität angenommen. Denn eigentlich heißt sie Malika und ist Roma. Sie überlebt, kommt nach Schweden und muss feststellen, dass sie als Roma auch hier nicht sicher wäre und so bleibt sie Miriam.

Der Roman schildert in vielen Rückblenden Miriams Geschichte und was das in der Gegenwart für die alte Frau bedeutet. So werden auch weitgehend unbekannte geschichtliche Ereignisse benannt, wie z.B. der Widerstand von Roma-Häftlingen in Ausschwitz oder die sog. „Zigeunerkrawalle“ in der schwedischen Kleinstadt Jönköping 1948. Roma wurden in Schweden lange Zeit diskriminiert, durften sich z.B. nirgends niederlassen. Ein Aspekt schwedischer Geschichte, der noch nicht aufgearbeitet ist. Der Roman über Miriam ist fiktiv. Axelsson stieß bei ihren Recherchen vielfach noch auf beängstigtes Schweigen. Einige persönliche Reaktionen nach Veröffentlichung des Buches zeigten ihr jedoch, dass die Fiktion nicht weit von realen Lebensgeschichten weg ist, dass die Betroffenen aber immer noch vorziehen, anonym zu bleiben.

 

Erwähnte Romane:

Majgull Axelsson: Rosario är död. 1989. dt. Ausgabe „Rosarios Geschichte“ 2002.

Majgull Axelsson: Långt borta från Nifelhjem. 1994. dt. Ausgabe „Der gleiche Himmel“ 2004.

Majgull Axelsson: Aprilhäxan. 1997. dt. Ausgabe „Die Aprilhexe“ 2000.

Majgull Axelsson: Jag heter inte Miriam. 2014. dt. Ausgabe „Ich heiße nicht Miriam“ 2015.