Es sind die 1880er Jahre. Sophie ist noch nicht lange mit Allen verheiratet, als der als Colonel eine Expedition der US-Army nach Alaska leiten soll. Sophie ist endlich der Sphäre des Elternhauses entkommen und genießt ein wenig Freiheit, auch wenn die übrigen Damen in der Militärbasis eine gute Offiziersgattin aus ihr machen möchten. Doch Sophie geht ihrem Interesse der Vogelkunde unschicklich energisch nach. Ursprünglich sollte sie Allen auch ein Stück auf seiner Expedition begleiten, doch dann wird sie schwanger und ein Arzt verbietet die Reise. Fortan kommuniziert das Paar durch Briefe, die einerseits die Expedition in von Weißen noch kaum betretenen Land, andererseits Sophies Ausharren daheim beschreibt, das sie – sehr zum Entsetzen ihrer Umgebung – dazu nutzt, sich die neue Technik der Fotografie anzueignen. Die fiktive Handlung und auch die fiktiven Briefe basieren auf der Dokumentation einer tatsächlichen Expedition. Das Buch ist so vielschichtig, dass hier kaum auf alle Facetten eingegangen werden kann, da ist ein Stück Kolonialgeschichte über die Praktiken der US-Army bei der „Erforschung“ neuer Gebiete, der Umgang mit den Ureinwohner*innen, die Geschichte von Fotografie und Ornithologie, die außergewöhnliche Landschaft Alaskas in ihrer Wildheit und Geheimnisvollheit, in der übernatürliche Dinge passieren, und schließlich noch eine Rahmenhandlung in der Gegenwart, die die Brücke schlägt zwischen der Zeit der Kolonialisierung Alaskas und heute. Insgesamt ein ganz wunderbarer Band zum Eintauchen und mit 560 Seiten lang genug, um ein wenig länger zu verweilen. Jedenfalls mein Lieblingsbuch der Saison.
Eowyn Ivey: Das Leuchten am Rand der Welt. Aus dem Engl. von Claudia Arlinghaus und Martina Tichy. 559 Seiten, Kindler, Reinbek b. Hamburg 2017 EUR 23,60