Unter den Augen des Teufels

Die Geschichte einer Stadt, die vom Teufel bewacht wird. Lübeck, detailsicher gezeichnet, gleichzeitig nur ein Beispiel unter anderen deutschen Städten, in denen dieser Teufel mit den blauen Augen wohnen könnte. Er sitzt dort fest, als stiller Beobachter, passiv, fast zu bemitleiden. Nur die Frauenfiguren in diesem Buch sehen ihn. Lucie, Freya und Jessie. Jede verhaftet in ihrer Zeit, ihre Geschichte verwoben mit der Geschichte von sie dominierenden Männern. Lucie überlebt auf wundersame Weise den Selbstmord ihrer schwangeren Mutter. Ihr Vater, ein glückloser Künstler und Alkoholiker, kümmert sich um dasVermögen, doch Lucie bleibt schwer zugänglich, eigen-artig, empfindsam. Der Mann, den sie heiratet, anfangs noch eine leidlich sympathische Figur, wird zum Gestapo-Bürokraten, lässt den Schwiegervater deportieren, pflanzt eine Lebenslüge in Tochter Freya, die ihrerseits keinerlei emotionale Beziehung zu ihrer Tochter Jessie aufbauen kann. Vererbte Traumata. Psychiatrie, Sucht, aber auch radikales politisches Engagement in der Punkbewegung. „Stadt aus Rauch“, ein Buch, das einer die Tiefpunkte jüngerer Geschichte und Gegenwart um die Ohren haut, genauso wie die Unterdrückung seiner Protagonistinnen. Märchenhafte Szenen mit phantastischen Elementen wechseln sich ab mit harten realistischen Schilderungen. Ständige Zeitsprünge zwischen den Geschichten, kaum dass eine sich in einem Erzählstrang festgelesen hat, kosten Überwindung, doch dann schwimmt eine mit im Strudel und taucht erst am Ende atemlos wieder auf. Zu Recht vielgelobt.

Svealena Kutschke: Stadt aus Rauch. 668 Seiten. Eichborn, Köln 2017 EUR 24,70

Terror in Schweden

ljungber_dunkelheit1940, Nordschweden. Ein Terroranschlag auf eine kommunistische Zeitungsredaktion erschüttert die Stadt Luleå. Im Herbst 1939 greift Russland Finnland an, das sich im darauf folgenden sog. Winterkrieg überraschend lange gegen den übermächtigen Gegner behaupten kann. Im Nachbarland Schweden versucht die Regierung mit allen Mitteln den neutralen Status aufrecht zu erhalten. Im Süden droht Deutschland, im Osten Russland, und aus Westen über Norwegen versucht Großbritannien ins schwedische Norrland vorzudringen, denn dort gibt es enorme Eisenerzreserven. Die Neutralitätspolitik gefällt nicht allen. Vor allem der Kommunismus wird als Bedrohung gesehen. In Luleå bildet sich eine Gruppe um einen rechts-konservativen Journalisten und den zuständigen Staatsanwalt, die in der kommunistischen Zeitung Norrskensflamman (dt. Nordlichtflamme) eine so große Bedrohung sehen, dass sie einen Sprengstoffanschlag auf die Druckerpressen der Zeitung planen und ausführen. Dabei sterben fünf BewohnerInnen des Hauses, das völlig zerstört wird. Ann-Marie Ljungberg hat sich diesen Stoff durch gründliche Recherchen angeeignet und versucht in Form eines Dokumentarromans aufzuzeigen, wie es zu diesem Anschlag kam, wie sich die beteiligten Männer radikalisierten. Auf Grundlage der Aufzeichnungen aus dem Gerichtsverfahren gegen die Täter rekonstruiert die Autorin die Monate vor dem Anschlag und die Gerichtsverhandlung in wechselnden Vor- und Rückblenden. „Lassen Sie uns doch ein Komitee bilden“, ist jener lakonische Satz, der unumkehrbar den Schritt von Unzufriedenheit zu Unrecht markiert. Sehr lesenswert!

Ann-Marie Ljungberg: Dunkelheit, bleib bei mir. Aus dem Schwed. von Eva Scharenberg. 208 Seiten, Weidle, Bonn 2016 EUR 23,20

erstmals erschienen in WeiberDiwan 02/2016